Die Entstehung unserer Mittelgebirge
Geomorphologische Methoden zur Analyse der Landschaftsentwicklung
Geologische Untersuchungen haben ergeben, dass eine känozoische Bruchschollentektonik die heutigen deutschen Mittelgebirge herausgehoben hat, wodurch diese zu den Gebirgszügen heranwuchsen, welche wir heute kennen. Aber welche tektonischen Störungen waren dabei aktiv? Welche Schollen wurden gehoben bzw. gesenkt?
Solche Fragen können mit den Arbeitsmethoden der geomorphologischen Analyse beantwortet werden, denn die Morphologie einer Region wird durch Phänomene des klimabedingten Sinkens des Meeresspiegels oder durch tektonische Prozesse kontrolliert. In tektonisch aktiven Gebieten formt sich die Morphologie der Oberfläche durch die störungsgebundene Heraushebung von Krustenblöcken bei gleichzeitig einsetzender Abtragung von deren Oberfläche. Dabei strebt das Drainagenetz ein energetisches Gleichgewicht an, was zur fortschreitenden Erosion der herausgehobenen Oberflächen führt. Deren Formen werden dadurch zunehmend irregulär. Alte reliktisch erhaltene Oberflächen können als Verebnungsflächen gleicher Höhe in Erscheinung treten und lassen sich durch Streifenprofile, welche quer durchs Untersuchungsgebiet verlaufen, gut sichtbar machen. Durch den Vergleich junger und alter geomorphologischer Elemente lässt sich die Entwicklung einer Landschaft rekonstruieren.
Für die Mittelgebirge in Sachsen wurden geomorphologische Untersuchungen von Stanek et al. (2016) und Domínguez-Gonzalez et al. (2022) vorgenommen. Sie basieren auf einem digitalen Geländemodell von Sachsen, welches die Höhe der Geländeoberfläche in einem regelmäßigen Raster darstellt. Mit Hilfe geomorphologischer Analyse können gehobene und gesenkte Bereiche der Erdkruste identifiziert werden sowie geomorphologisch wirksame Störungen, die diese Bereiche begrenzen.
Analysemethoden
Drei verschiedene Analysemethoden wurden angewendet:
- Die Analyse des Drainagenetzes und der Vergleich von Flussprofilen,
- Die Analyse der gesamten Oberfläche mittels dynamischer Karten, in denen durch das statistische Verfahren des gleitenden Fensters geomorphologische Kennwerte berechnet werden,
- Streifenprofile zur Darstellung von Einschneidung der Flüsse, Lage von Störungen und Rekonstruktion älterer Verebnungsflächen.
Das Drainagenetz ist aufgrund seiner schnellen Reaktion auf tektonische Einflüsse besonders wichtig für die Rekonstruktion junger tektonischer Bewegungen. Um zu bestimmen, wie weit sich eine Bruchscholle gehoben hat, wird zuerst das reale Flussprofil vermessen. Es wird davon ausgegangen, dass das Flussprofil konkav ist, also steil am Oberlauf und dann immer flacher werdend. Aus dem vermessenen Flussprofil wird durch Anpassung einer konkaven mathematischen Funktion ein ideales Flussprofil modelliert. Aus diesem wird das Basisniveau des Flusses berechnet. Tektonische Hebungen und Senkungen führen zu einer Störung des Flussprofils, es entstehen Knickpunkte. Sind Knickpunkte vorhanden, müssen mehrere konkave Kurven modelliert werden und es existieren mehrere Basisniveaus. Daraus ergeben sich Rückschlüsse auf Hebung des Krustenblockes oder Senkung des Wasserspiegels im Unterlauf des Flusses.
Aus den verschiedenen Basisniveaus wurden Isobasen (Linien gleicher Höhe) interpoliert. Die Isobasen geben Informationen über die Equilibrierung des Drainage-Netzes relativ zur umgebenden Topographie. Alte topographische Hochlagen sind durch flach und mit großem Linienabstand angeordnete Isobasen in größerer Höhe charakterisiert. Isobasen, die eine enge Scharung und damit einen scharfen topographischen Gradienten anzeigen, sind sehr häufig mit der rezenten Heraushebung verbunden.
Um die Effekte der jüngsten tektonischen Deformation auf Landschaften zu detektieren wurden aus dem digitalen Geländemodell (DGM) über mathematische Algorithmen auf der gesamten Oberfläche (auch außerhalb des Drainagenetzes) geomorphologische Indizes extrahiert. Dazu wurde ein gleitendes Fenster mit einem Mittelpunkt definiert. Für diesen Mittelpunkt, einen bestimmten Pixel der Karte, wird ein Kennwert aus allen Pixeln innerhalb des Fensters berechnet, z.B. der Mittelwert. Danach wandert das Fenster um ein Pixel weiter, und die Berechnung wird wiederholt. In den so entstehenden Karten kann man sehr deutlich Lineamente erkennen, also Linien entlang derer sich die Kennwerte abrupt ändern. Die Lineamente stellen häufig morphologische Abbrüche dar. Mittels Geländeuntersuchungen muss an solchen Strukturen geprüft werden, ob sich tatsächlich eine tektonische Störung nachweisen lässt.
Topographische Streifenprofile fassen Höhendaten aus einer komplexen Landschaft zu einem Einzelprofil zusammen. Sie decken einen beliebig breiten Streifen eines Gebietes ab. Für jedes Pixel auf der Zentrallinie des Streifens wird eine senkrecht dazu verlaufende Linie über die gesamte Breite des Streifen betrachtet. Es werden der höchste Punkt, der tiefste Punkt und der Mittelwert des Querstreifens ermittelt und auf der Zentrallinie abgebildet. Die niedrigste Linie entspricht den am stärksten erodierten und damit jüngsten Strukturen. Die Linie der höchsten Topographie kann reliktisch erhaltene Oberflächen vor Beginn der Einschneidung sichtbar machen. Die Differenz zwischen maximalen und minimalen Höhen zeigt das Maß der Einschneidung des Draingenetzes.
Geomorphologische Karten aus der Analyse des Drainagenetzes
Dynamische Karten von geomorphologischen Inidizes
Das hypsometrische Integral (HI)
Das hypsometrische Integral (HI), wird als das Verhältnis von Höhe zu Relief berechnet.
Das HI weist für konvexe und nur schwach eingeschnittene Oberflächen (charakteristisch für junge Landformen) hohe HI-Werte >0,5 auf. Ältere, reife Landschaften zeigen mittlere HI-Werte zwischen 0,4-0,5. Flache, alte Oberflächenformen weisen niedrige HI-Werte unter 0,4 auf.
Die Oberflächenrauigkeit (OR)
Die Oberflächenrauigkeit (OR) beschreibt das Verhältnis der Gesamtfläche des gleitenden Fensters zu den flachen bzw. horizontalen Flächen im Gebiet. Sie beschreibt den Grad der Einschneidung durch das Drainagenetz in diesem Gebiet.
Die Werte für die Oberflächenrauigkeit (OR) variieren zwischen 1,0 für flache, wenig eingeschnittene Landformen zu 1,17 für stark eingeschnittene, irregulär geformte Oberflächen. Die OR hängt nicht nur vom Alter der Landschaft ab, sondern auch von der Intensität der Heraushebung. Sowohl flache, junge als auch alte Oberflächen zeigen niedrige Werte, während die tief eingeschnittenen Randbereiche hohe Werte aufweisen.
Der topographische Positionsindexes (TPI)
Der topographische Positionsindex (TPI) wird berechnet als Differenz der Höhe einer Zelle des DGMs und der mittleren Höhe aller Nachbarzellen im gleitenden Fenster um diese Zelle.
Die eine Landschaft gestaltenden Erosions- und Sedimentationsprozesse sind sehr stark von der topographischen Position abhängig: Bergspitze, Talboden, herausgehobener Rücken, flache Ebene, unterer oder oberer Hang. Die TPI-Werte werden in drei Klassen geteilt: Positive TPI-Werte repräsentieren Gebiete, die höher als die durchschnittlichen Nachbargebiete liegen (Bergrücken oder alte Hochlagen); negative TPI-Werte repräsentieren Gebiete, die tiefer als die durchschnittlichen Nachbargebiete liegen (eingeschnittene Täler). TPI-Werte nahe Null stehen entweder für flache Gebiete (mit einer Neigung nahe Null) oder für Gebiete mit konstanter Hangneigung.
Bruchschollen und geomorphologisch aktive Störungen
Die Ergebnisse der geomorphologischen Analysen wurden synthetisiert, um Bruchschollen bzw. Blöcke mit verschiedenen Hebungsbeträgen abzugrenzen. Die Blöcke werden durch Nordwest- und Südwest-streichende Störungen getrennt. Um die Höhenlage der verschiedenen Bruchschollen zu beschreiben, wurde die Tertiärbasis als Referenzfläche gewählt. Da die Bruchschollentektonik im Tertiär und Quartär stattfand, wurde die Tertiärbasis mit den Blöcken versetzt und bildet so einen guten Marker. Wurde ein Block gehoben, entwickelte er sich zu einem Abtragungsgebiet. Dort ist die Tertiärbasis nur noch reliktisch erhalten. Am höchsten liegt sie im Eibenstock- und Annaberg-Block bei etwa 1000 Metern Höhe. Wurde ein Block abgesenkt, entwickelte er sich zu einem Sedimentationsgebiet. In einem solchen Block ist die Tertiärbasis zwar noch vollständig erhalten, jedoch durch jüngere Sedimente verdeckt und nur aus Bohrugen bekannt. In den Lausitzer Tertiärgräben und im Zittau-Becken wurde die Tertiärbasis auf ca. -200 Meter Höhe abgesenkt. Der Übergang von Sedimentationsgebieten in Abtragungsgebiete erfolgt in ca. 200-400 Metern Höhe.
Bemerkenswert ist der sprunghafte Abfall der Tertärbasis von 1000 Metern auf 300 Meter Höhe zwischen dem Eibenstock-Block und dem Egergraben am Erzgebirgsabbruch. Er belegt einen störungsgebundenen Vertikalversatz von mindestens 700 Metern.
Die Bruchschollen wurden nicht nur gehoben und gesenkt, sondern auch verkippt. So steigt die Höhe der Tertiärbasis im Annaberg-Block von 500 Metern im Norden auf 1000 Meter im Süden an. Die Kippung der Bruchschollen kann man gut in einem Süd-Nord verlaufenden Streifenprofil vom Egergraben bis in die Nordsächsische Tiefscholle erkennen.
Die Entwicklung unserer Mittelgebirgslandschaft
Die Entwicklung unserer Landschaft ist das Ergebnis einer komplexen Interaktion zwischen Erosion, Sedimentation und tektonischen Prozessen.
Reliktische Landschaften können, solange sie durch Erosion nicht ausgelöscht werden, noch eine Zeitlang existieren. Solche angehobenen Landschaften sind im südlichen Lausitzer Block und im Erzgebirge erhalten geblieben. Die Paläooberflächen sind Hochebenen mit einem geringen Relief und alten Verwitterungskrusten (kaolinisierte Gesteine). Sie werden begrenzt durch gut definierte topografische Abbrüche mit nachweisbaren tektonischen Störungen, die im Känozoikum aktiv waren. Dadurch entsteht der für unsere Landschaft typische Wechsel von leicht hügeligen Hochflächen und steil eingeschnittenen tiefen Tälern.
Da spät-kretazische bis früh-paläogene kompressive Strukturen bereits im mittlere Eozän durch die Erosion nivelliert worden waren, muss die heute sichtbare Landschaft sich nach dem mittleren Eozän gebildet haben. Die Tektonik und der Vulkanismus im Eger-Graben setzten im späten Oligozän bis frühem Miozän ein. Im Miozän bildeten sich auch die Lausitzer Teriär-Becken in einem Nordwest-gerichteten Extensionsregime. Dieses wurde von einem kompressiven Spannungsfeld abgelöst, in welchem das Erzgebirge und der Südteil der Lausitz im Pliozän gehoben wurden. Eine weitere Hebung im Quartär führte zur Abtragung von paläogenen und neogenen Sedimenten sowie zur Anlage des heute sichtbaren Drainagenetzes.
Mehr zur Geomorphologie von Sachsen erfahren
Quellenangaben
Domínguez-Gonzalez, L., Adreani, L., Stanek, K. (2022): Geomorphologische Analyse tektonischer Einheiten in Sachsen. Schriftenreihe des LfULG 14/2022, 1-94.
Stanek, K., Dominguez-Gonzalez, L., Adreani, L., Bräutigam, B. (2016): Tektonische und geomorphologische 3D-Modellierung der tertiären Einheiten der sächsischen Lausitz. Schriftenreihe des LfULG 19, 1-86.