Der Schelf Gondwanas: Sachsen im Altpaläozoikum
Bildung sedimentärer Gesteine an einem passiven Kontinentalrand
Die Erdgeschichte in Sachsen trat zu Beginn des Paläozoikums in eine neue Phase der Gesteinsbildung ein, die von marinen sedimentären Ablagerungen dominiert wird. Ausführliche Zusammenstellungen dieser geologischen Entwicklung kann man z. B. in Linnemann et al. (2003), Pälchen und Walter (2008) und Heuse et al. (2010) nachlesen. Um eine Vorstellung davon zu erhalten, in welchem Ablagerungsmilieu sich die Gesteine bildeten, interpretierten die Autoren Minerale, Korngröße, Kornform, Sortierung und Sedimentstrukturen nach dem aktualistischen Prinzip. Sie schauten, in welchen Gebieten sich heute gleichartige Gesteine bilden, und leiteten daraus Modelle über den sedimentären Ablagerungsraum und dessen Entwicklung ab.
Sedimente, die den cadomisch deformierten Gesteinen aufliegen, bilden normalerweise eine deutliche Winkeldiskordanz, die cadomische Diskordanz, und sind somit gut von den spätproterozoischen Gesteinen der cadomischen Entwicklungsphase zu unterscheiden (Buschmann 1995).
Die altpaläozoischen Sedimentgesteine
Die Ablagerungen des Kambriums sind lückenhaft und kommen in der Doberlug-Torgau-Delitzsch-Zone sowie lokal im Görlitzer Schiefergebirge vor. Mit Hilfe von sedimentologischen Untersuchungen und radiometrischen Altersdatierungen konnten Linnemann und Buschmann (1995) und Linnemann et al. (1999) wahrscheinlich machen, dass dies nicht daran liegt, dass ursprünglich vorhandene kambrische Sedimente wieder erodiert wurden, sondern dass es eine stratigraphische Lücke gibt, die das gesamte Kambrium umfasst. In dieser Zeit konnte sich auf dem cadomischen Grundgebirge eine Verwitterungskruste bilden, die während der folgenden geologischen Epoche aufgearbeitet wurde und als Ausgangsmaterial für die ordovizischen Sedimente diente.
Mit dem Übergreifen des Meeres auf die von der cadomischen Gebirgsbildung geprägte Lithosphäre im Tremadocium (vor 485-477 Millionen Jahren) lagerten sich großräumig ordovizische Sedimente im Vogtland, in der Mittelsächsischen Zone, im Nossen-Wilsdruffer Schiefergebirge sowie im Elbtalschiefergebirge ab. Sie erreichen Mächtigkeiten von über 1000 Metern. Die sedimentären Abfolgen werden biostratigraphisch gegliedert, also auf Grund der auftretenden Fossilien. Verwendet werden Graptolithen, Acritarchen, Brachiopoden und Conodonten. Da im Schwarzburger Sattel in Thüringen das vollständigste Profil des Ordoviziums in unserer Region vorgefunden wird und die sächsischen Ablagerungen den thüringischen ähneln, schließt sich die Gliederung der sächsischen Gesteine an die thüringische Stratigraphie an. Die Sedimente werden als thüringische Faziesreihe bezeichnet.
Die untersten Gesteine der ordovizischen Schichtfolge werden in Thüringen als Frauenbach-Gruppe und in Sachsen als Weißelster-Gruppe bezeichnet. Sie bestehen aus Wechsellagerungen von Tonschiefern und Quarziten mit einer Mächtigkeit von 400-600 Metern (Berger 2008).
Diese werden von der Phycoden-Gruppe überlagert, welche aus der Phycodendachschiefer-Formation und der Phycodenschiefer-Formation besteht. Die Gruppe wurde nach dem in den Gesteinen auftretenden Fossil Phycodes circinatum, einem Spurenprofil, benannt. Der Phycodendachschiefer besteht aus Schluffschiefern, welche sich zu dünnen Platten spalten lassen, wasserundurchlässig und verwitterungsresistent sind und deshalb als Dachschindeln Verwendung finden. Solche feinkörnigen Sedimente bilden sich im Meer landfern im tieferen Schelfbereich. Der Phycodenschiefer ist ebenfalls ein Schluffschiefer, der aber Feinsandbänkchen enthält, und sich deshalb nicht als Dachschiefer eignet. Die sandigen Lagen im Gestein deuten darauf hin, dass die Ablagerung küstennäher auf einem Flachschelf erfolgte.
Darüber lagern die Gesteine der Gräfenthal-Gruppe. Die Ablagerungen beginnen mit der Griffelschiefer-Formation, einem glimmerarmen Tonschiefer, der in stiftartige Fragmente spaltet, welche früher als Griffel zum Schreiben auf Tontafeln verwendet wurden. Als markante stratigraphische Einheit folgt darüber die 20-50 Meter mächtige Hauptquarzit-Formation mit einem hellgrauen, serizitischen Quarzsandstein, der lagig oder bankig ausgebildet ist. Darin eingeschlossen sind sogenannte Tonschiefergallen, das sind Schlickgerölle, die mit anderen sedimentologischen Merkmalen auf einen flachmarinen, wattartigen Ablagerungsraum schließen lassen. Ellenberg et al. (1992) interpretierten dieses Gestein als Deltabildung unterhalb des Litorals.
Der Hauptquarzit geht lateral und vertikal in die Lederschiefer-Formation über, einen bräunlichen, glimmerhaltigen und geröllführenden sandigen Schluff- bis Tonschiefer. Dieser ist schlecht sortiert und enthält sogenannte drop stones (heruntergefallene Steine), die grobe Gerölle in einer feinen Matrix darstellen. Diese entstehen, wenn in Eisbergen eingefrorene Geschiebe durch das Abschmelzen der Eisberge ins Meer fallen. Der Lederschiefer ist damit zum einen Zeuge der Sahara-Vereisung Gondwanas, zum anderen ein Beleg dafür, dass der ordovizische Sedimentationsraum Sachsens direkt vor dem Kontinent Gondwana gelegen hat. Eine Geröllanalyse von Tröger (1959) zeigte, dass Gerölle aus älteren ordovizischen Schichten in das Sediment eingetragen wurden. Diese Schichten müssen zur Zeit der Bildung des Lederschiefers bereits der Abtragung unterlegen haben. Der Lederschiefer geht kontinuierlich in die Graptolithenschiefer-Formation des Silurs über.
Mit dem Abtauen der Gletscher zum Ende der Sahara-Vereisung scheint es am Beginn des Silurs zu einem Meeresspiegelanstieg gekommen zu sein, weshalb kontinentale Bereiche großflächig vom Meer überflutet wurden. Die Sedimentation erfolgte nun in einem ruhigen Milieu, in welchem feinkörnige Gesteine mit einer großen Verbreitung gebildet wurden (Freyer et al. 2008).
Die silurischen Ablagerungen (444-419 Millionen Jahre) erreichen nur eine Mächtigkeit von 70 Metern und sind besonders in der Vogtländischen Schuppenzone verbreitet, aber auch im Nossen-Wilsdruffer Schiefergebirge, im Elbtalschiefergebirge und im Görlitzer Schiefergebirge anzutreffen. Die Gesteine werden durch Graptolithen biostratigraphisch untergliedert, was auch eine Parallelisierung der Ablagerungen mit den Typusgebieten in Wales, Thüringen und Tschechien ermöglicht.
Die silurischen Sedimente gliedern sich in drei Teile:
- die untere Graptolitheschiefer-Formation, welche aus Kiesel- und Alaunschiefern besteht,
- die Ockerkalk-Formation, einen feinkörnigen Knoten- und Flaserkalk,
- die obere Graptolithenschiefer-Formation, welche überwiegend aus Alaunschiefer besteht.
Die Bildung von Alaun und das Vorkommen von Pyrit im Gestein zeigen an, dass die Sedimentation in einer sauerstoffarmen Umwelt erfolgte, die Schwefelwasserstoff enthielt. In diesem sauren Milieu wurden kalkschalige Organismenreste aufgelöst. Während der Ablagerung des Ockerkalkes kam es offenbar zeitweilig zu einer besseren Durchlüftung des Meeres.
Im Unter- und Mitteldevon (419-383 Millionen Jahre) setzte sich die ruhige Sedimentation fort (Berger et al. 2008). Es bildete sich die 8-15 Meter mächtige Tentakulitenknollenkalk-Formation, ein im unteren Teil bankig und im oberen Teil knollig ausgebildeter Kalkstein, sowie die 90-120 Meter mächtige Tentakulitenschiefer-Nereitenquarzit-Formation, ein grüngrauer Tonschiefer mit Kalkmergel-, Konglomerat- und Quarzit-Lagen. Diese Gesteine sind nach den darin aufgefundenen Fossilien, den Tentakulit-Schnecken, benannt. Die Quarzit-Lagen werden als Nereitenquarzit bezeichnet, nach Spurenfossilien der Gattung Nereites. Die Tentakulitenschiefer-Nereitenquarzit-Formation geht in die mitteldevonische 50-60 Meter mächtige Schwärzschiefer-Formation über, welche aus dunklen Tonschiefern besteht. Das Fehlen von grobkörnigen Einschaltungen deutet darauf hin, dass die Sedimentation über lange Zeiträume in einem landfernen marinen Becken stattfand.
Gesteine der Vogtländischen Schuppenzone
Sedimentologische und plattentektonische Interpretation
Linnemann et al. (2003) interpretierten den altpaläozoischen Sedimentationsraum in Sachsen als Schelfbereich Gondwanas, der im Ordovizium von einer intensiven Rift-Tektonik erfasst wurde und sich später als typischer mariner passiver Kontinentalrand weiterentwickelte.
Im Ordovizium wurde der Schelf Gondwanas von Dehnungstektonik erfasst. Als Belege dafür gelten u. a. das Vesser-Rift in Thüringen und Sachsen-Anhalt mit ozeanischer Kruste und der Rumburk-Granit in der Lausitz.
Dass Kontinentalränder nach einer Gebirgsbildung unter Dehnung geraten, ist auch auf der rezenten Erde zu sehen, z. B. in Baja California. Das plattentektonische Konzept bietet dafür eine mechanisch plausible Erklärung: Die Bewegung der Lithosphärenplatten ist an die Mantelkonvektion gekoppelt, welche in großen mehrere 100 Kilometer tief reichenden Zellen stattfindet. Subduktionszonen liegen in Bereichen mit abwärts gerichteter Mantelkonvektion. Bei der Subduktion wird eine Lithosphärenplatte unter eine andere gezogen, sodass es an der Plattengrenze zu Einengung kommt, wobei sich die Platten gegenseitig blockieren. Dadurch entstehen Spannungen in der Unterplatte, die zum Abriss des subduzierten Lithosphärenteils (Slab break-off) führen. Während der Teil der Unterplatte, der unterhalb des Abrisses liegt, im Erdmantel versinkt, wird der Teil oberhalb des Abrisses entlastet und hebt sich wie eine unter Wasser gezogene Luftmatratze, die man plötzlich loslässt. Der im Abrissbereich entstehende Platz muss durch Nachfluss von Mantelmaterial aufgefüllt werden, wobei sich die Mantelkonvektion umstellt und der bei der Gebirgsbildung neu entstandene Rand einer Lithosphärenplatte unter Dehnung gerät. Als Folge dieses Prozesses haben sich im Kambrium an dem cadomisch geprägten Rand Gondwanas Riftzonen gebildet.
Die Lithiosphäre in Sachsen war aus cadomischem Grundgebirge aufgebaut, welches aus neoproterozoischen Sedimenten bestand, in die Granodiorite und Granite intrudiert waren. Zwischen Sedimenten und Tiefengesteinen herrscht ein hoher Kontrast in der mechanischen Festigkeit: Die Sedimente sind relativ leicht deformierbar, die Tiefengesteine sind sehr fest. Deshalb wurden besonders Lithosphärenbereiche, die aus Sedimentgesteinen aufgebaut waren, von der ordovizischen Rifttektonik erfasst. Im Gegensatz dazu verhielten sich Bereiche der Lithosphäre, die durch Granodioriten und Graniten verfestigt waren, als starre Blöcke, die der Dehnungstektonik widerstanden. Deshalb entstanden während des ordovizischen Riftings ausgedünnte Bereiche kontinentaler Lithosphäre, die durch nicht ausgedünnte, mächtigere Bereiche getrennt wurden. In den Riftzonen kam es zu bimodalem Vulkanismus, also zu einer Vergesellschaftung von basischen und sauren vulkanischen Gesteinen, die typisch für kontinentale Riftzonen ist. Diese bimodalen Vergesellschaftungen von Vulkaniten konnten im Erzgebirge nachgewiesen werden und belegen, dass das post-cadomische Rifting eine bedeutende Rolle für die spätere geologische Entwicklung in Sachsen spielte.
Nachdem sich die Mantelkonvektion umgestellt hatte, schien sich der Kontinentalrand Gondwanas stabilisiert zu haben. Er repräsentierte einen typischen passiven Kontinentalrand. Es kam zur eintönigen Sedimentation von Tiefwassersedimenten, wie es auch heute an passiven Kontinentalrändern zu beobachten ist. Diese sogenannte thüringische Faziesreihe umfasst Gesteine des inneren Schelfbereichs.
Gesteine des Altpaläozoikums erleben
Quellenangaben
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Berger, H.-J., Brause, H., Kurze, M., Freyer, G., Kramer, W. (2008): Devon. In: Pälchen, W., Walter, H. (Hrsg.). Geologie von Sachsen - Geologischer Bau und Entwicklungsgeschichte. Schweitzerbart Stuttgart, 116-143.
Ellenberg, J., Falk, F., Lützner, H. (1992): Siliciclastic shelf sedimentation of Early Paleozoic deposits in the Thüringer Schiefergebirge (Thuringian Slate Mountains). In Falk, F. (Ed.) 13th IAS Regional Meeting of Sedimentology (Guidebook), Friedrich-Schiller-Universität Jena, Institut für Geowissenschaften, 133-158.
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