Die variszische Gebirgsbildung - ein Überblick
Die Entstehung der metamorphen Gesteine Sachsens
Die variszische Gebirgsbildung ist das wichtigste tektonische Ereignis im späten Paläozoikum, bei welchem sich metamorphe und magmatische Gesteine in Nordamerika, Nordafrika und Europa bildeten.
In Europa erstreckt sich die variszische Deformationsfront als nördliche Grenze der variszischen Gesteinseinheiten von der Iberischen Halbinsel über Frankreich, die Südküste Irlands, über Südengland, Belgien, die Niederlande, Norddeutschland bis nach Polen. Im Süden kommen variszisch geprägte Gesteine in Marokko, den Alpen und im Mittelmeerraum vor, wo sie von jüngeren Gebirgsbildungsprozessen der alpinen Orogenese überprägt wurden. Regionen, in denen die variszisch gebildeten Gesteine wenig oder nicht alpin überprägt wurden, befinden sich in West- und Mitteleuropa und sind für das Verständnis der variszischen Gebirgsbildung wichtig.
Zonen der Varisziden
Die Subvariszische Zone bzw. Subvariszische Saumsenke bildet die Vorlandsenke des variszischen Gebirges mit mächtigen Sand- und Tonstein-Sedimenten des Oberkarbons, welche durch die Erosion des sich heraushebenden Gebirges entstanden. Sie umfasst die wichtigsten Europäischen Steinkohlereviere auf den Britischen Inseln sowie in Frankreich, Belgien, Deutschland und Polen.
Die Rhenoherzynische Zone besteht überwiegend aus deformierten nicht- bis niedrig-metamorphen devonischen und karbonischen Sedimenten, welche bei der Gebirgsbildung gefaltet und geschiefert wurden. Sie entspricht dem passiven Kontinentalrand Laurussia. Sie beinhaltet das Rheinische Schiefergebirge und den Harz und kann mit der Südportugiesischen Zone korreliert werden.
Die Mitteldeutsche Kristallinzone ist eine aus kristallinen Gesteinen, Gneisen und Graniten, bestehende sehr komplexe Zone mit unterschiedlichem Metamorphosegrad und strukturellem Baustil. Sie repräsentiert die Sutur des Rheischen Ozeans. Sie erstreckt sich von den Nordvogesen über den Odenwald, Spessart, den Ruhlaer Kristallin-Komplex und den Kyffhäuser bis nach Polen. In Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen ist sie aus zahlreichen Bohrungen bekannt. In Spanien entspricht ihr die Ossa-Morena-Zone.
Die Saxothuringische Zone beinhaltet sehr unterschiedliche Gesteine, welche ein Mosaik aus kollidierten kontinentalen Bruchstücken sowie tektonischen Decken unterschiedlicher Metamorphosegrade bilden. Einige dieser Gesteine entstammen einem marinen Vorlandbecken des variszischen Gebirges, andere wurden aus einer komplizierten kontinentalen Kollisions- und Subduktionszone herausgequetscht, welche nach Schließung des Rheischen Ozeans aktiv war. Die Saxothuringische Zone reicht von Vogesen und Schwarzwald über das Thüringisch-Fränkische Schiefergebirge und Sachsen bis nach Polen. Alle Gesteine des Grundgebirges in Sachsen gehören zur Saxothurinigschen Zone. In Spanien entspricht ihr die Zentraliberische Zone, in Frankreich die Nordarmorikanische Zone.
Die Moldanubische Zone besteht aus zwei Teilen, dem Tepla-Barrandium und dem Moldanubikum sensu stricto. Das Tepla-Barrandium umfasst einen cadomischen Block des kontinentalen Schelfs von Gondwana mit darauf abgelagerten paläozoischen Sedimenten. Es befindet sich im Norden der Tschechischen Republik. Das Moldanubikum s.s. besteht fast ausschließlich aus Gneisen und Plutoniten. Es repräsentiert eine intrakontinentale Subduktionszone, aus welcher auch einige der metamorphen Gesteine des Saxothuringikums stammen. Das Moldanubikum reicht von den Südvogesen und Südschwarzwald bis nach Südböhmen und Niederösterreich. In Spanien entspricht ihm die Westasturisch-Leonesische Zone, in Frankreich die SüdarmorikanischeZone.
Domänen-Gliederung des Grundgebirges in Sachsen
Das Grundgebirge in Sachsen gehört zur Saxothuringischen Zone. Es wurde in regionale Einheiten untergliedert, die hier dargestellt sind.
Um die unterschiedlichen Deformationsstile in diesen regionalen Einheiten zu systematisieren, lieferten Kroner et al. (2007) eine Untergliederung in Domänen für das Gebiet zwischen Franken und der Lausitz. Die Domänen werden durch Störungen voneinander getrennt.
In der Autochthonen Domäne werden Bereiche des Grundgebirges zusammengefasst, die kaum von der variszischen Orogenese geprägt wurden. In diesen Bereichen sind das cadomische Grundgebirge und die unmetamorphen und wenig bzw. nicht deformierten marinen altpaläozoischen Sedimente erhalten geblieben. Zur Autochthonen Domäne werden der Nordsächsische Block und der Lausitzer Block gezählt. Hier liegen neopoterozoische Grauwacken, neoproterozoisch-frühpaläozoische Granite und Granodiorite sowie paläozoische Schelfsedimente in thüringischer Fazies vor.
Die Allochthone Domäne wird von Gesteinen aufgebaut, welche intensiver Tektonik, Deformation und Metamorphose ausgesetzt waren. Die Ausgangsgesteine der Einheiten der Allochthonen Domäne sind nicht oder nur reliktisch zu erkennen, die ursprünglichen Verbandsverhältnisse der Gesteine sind verloren gegangen. Zur Allochtonen Domäne gehören Fichtelgebirge, Erzgebirge, das Frankenberger Zwischengebirge und das Granulit-Massiv.
Da die Gesteinseinheiten der Allochthonen Domäne deformiert und an Deformationszonen versetzt wurden, während die Gesteine der Autochtonen Domäne undeformiert in ihrer Nachbarschaft blieben, mussten beide Domänen voneinander entkoppelt werden. Das geschah entlang großer Störungszonen, welche die Wrench-and-Thrust-Zone bilden. In diesen Bereichen kam es nicht nur zu seitlichem Versatz der Einheiten entlang von Transformstörungen (Wrencch-Tektonik) sondern auch zu Überschiebungs- (Thrust)-Tektonik. Die nördliche Wrench-and-Thrust-Zone trennt die Autochthone Domäne von der Mitteldeutschen Kristallinzone, die südliche Wrench-and-Thrust-Zone trennt sie von der Allochthonen Domäne. Zur Wrench-and-Thrust-Zone gehören die Doberlug-Torgau-Delitzsch-Zone, die Mittelsächsische Zone, die Vogtländische Schuppenzone, das Nossen-Willsdruffer und das Elbtalschiefergebirge.
Plattentektonisches Modell der variszischen Gebirgsbildung
Plattentektonische Modelle für die varizische Gebirgsbildung wurden seit den 1980iger Jahren erarbeitet. Sie spiegeln den stetig wachsenden Kenntnisstand über die geologische Entwicklung der Varisziden wider. Sie erklären die variszische Gebirgsbildung durch eine Kollision der Kontinente Laurussia im Norden und Gondwana im Süden, wobei der dazwischengelegene Rheische Ozean geschlossen wurde und sich der Superkontinent Pangäa bildete. Das aktuelle plattentektonische Modell von Kroner et al. (2007, 2010) vereint und erweitert die Erkenntnisse der Vorgänger Matte (1986), Franke und Stein (2000), Willner et al. (2002) und Robardet (2002, 2003) und beseitigt Widersprüche zwischen diesen Modellen. Es soll hier kurz vorgestellt werden.
Wichtige geologische Prozesse bei der variszischen Gebirgsbildung
Subduktion findet statt, wenn sich zwei Lithosphärenplatten aufeinander zu bewegen. Dabei wird eine Platte unter die andere gedrückt und versinkt im Erdmantel. Treffen ozeanische und kontinentale Lithosphäre aufeinander, wird normalerweise die ozeanische Lithosphäre, welche eine höhere Dichte aufweist, unter die kontinentale subduziert. Durch Subduktion ozeanischer Lithosphäre unter den Kontinent Laurussia wurde der Rheische Ozean geschlossen, bis der Schelf Gondwanas in die Subduktionszone eintrat. Ein Indiz für diesen Prozess sind Inselbogengesteine in der heutigen Mitteldeutschen Kristallinzone. Beim Eintreten des Schelfs von Gondwana in die Subduktionszone bildeten sich die früh-variszischen Metamorphite der Zwischengebirge.
Sedimente, die auf der subduzierten Unterplatte abgelagert wurden, weisen eine geringe Festigkeit und Dichte auf. Sie werden deshalb von der subduzierten Platte abgeschuppt und vor der Oberplatte angelagert. Es entsteht ein Akkretionskeil. Das Görlitzer Schiefergebirge besteht aus stark deformierten sedimentären Einheiten des Kambriums, Ordoviziums, Silurs, Devons und Unterkarbons mit eingeschalteten Vulkaniten. Diese Gesteine wurden grünschieferfaziell metamorph überprägt und als Akkretionskeil vor dem Lausitzer Block interpretiert (Göthel 2001).
Während der variszischen Gebirgsbildung entstanden auch intrakontinentale Subduktionszonen, in denen keine ozeanische Lithosphäre subduziert wurde. Stattdessen wurde bei der einengenden Plattenbewegung Lithosphäre mit ausgedünnter kontinentaler Kruste mit Mächtigkeiten von weniger als 20 Kilometern subduziert. Die subduzierten Gesteine wurden bis in ca. 120 Kilometer Tiefe versenkt. Belege für die Subduktion kontinentaler Kruste in Sachsen sind Mikrodiamenten und Hochdruckquarze in Gneisen des Erzgebirges, die Drücken ausgesetzt waren, die in 120 Kilometern Tiefe herrschen.
Erfolgt die Einengung zwischen zwei Lithosphärenblöcken mit mächtiger kontinentaler Kruste, die unsubduzierbar ist, kollidieren die Blöcke miteinander. Die Unterplatte versinkt nicht im Erdmantel, stattdessen bildet sich ein Überschiebungsgürtel, an dem die kontinentale Kruste weiter verdickt wird. Ging der Kollision eine Subduktion voraus, reißt die subduzierfähige Lithosphäre ab (slab break-off) und versinkt im Erdmantel. Während der variszischen Gebirgsbildung kollidierten mehrere cadomische Blöcke, so das Tepla-Barrandium und der Lausitzer Block mit Laurussia.
Ablauf der variszischen Gebirgsbildung in Westeuropa
Die konvergente Plattenbewegung von Gondwana und Laurussia führte zur Schließung des Rheischen Ozeans an einer nordgerichteten Subduktionszone (blaue Linie mit Dreiecken). Der vordere Teil des Kontinents Gondwana wurde vom Armorikanischen Sporn gebildet, einem von Rifting erfassten breiten Schelf, der ausgedünnte Bereiche und unverdünnte Bereiche, sogenannte cadomische Blöcke, umfasste. Der Armorikanische Sporn kollidierte im Devon als erstes mit Laurussia. Dadurch entstanden auf der Laurussischen Platte Ost-West gerichtete Scherzonen die Dehnungsbewegungen im Rhenoherzynischen Becken (blaugrün) und Überschiebungstektonik in den Appalachen (graue Linien mit Dreiecken) verursachten.
Verursacht durch die Kollision des Armorikanischen Sporns, änderte sich die relative Plattenbewegung zwischen Gondwana und Laurussia. Verschiedene cadomische Blöcke einschließlich der autochthonen Domäne (gelb) kollidierten mit Laurussia, während zeitgleich die ausgedünnten Schelfbereiche in einem Nordost-gerichteten Spannungsfeld subduziert wurden. Damit sich die unterschiedlichen Lithosphärenbereiche unabhängig voneinander bewegen konnten, bildeten sich Lithosphären-tiefe Transformstörungen (Linien mit Pfeilen).
In der mittel-variszischen Phase der Gebirgsbildung sprang nach der Kollision des Lausitzer Blocks und des Tepla-Barrandiums die Subduktionszone ins Moldanubikum (blaue Linie mit Dreiecken). Die intrakontinentale Subduktion begann. Im nördlichen Vorland bildeten sich in der Kollisionszone Überschiebungszonen (graue Linien mit Dreiecken), in denen die Kruste verdickt und gehoben wurde. Die Autochthone Domäne im Hinterland des Lausitzer Blocks schob sich entlang sinistraler Transformstörungen (Linien mit Pfeilen) am Tepla-Barrandium vorbei und entwickelt sich zum Saxothuringischen Becken, in welches synorogene (während der Gebirgsbildung abgelagerte) Sedimente geschüttet wurden.
In der spät-variszischen Phase endete die intrakontinentale Subduktion, es fanden Ausgleichsbewegungen zwischen den cadomischen Blöcken statt und das Spannungsfeld drehte sich in Nord-Nordwest-Richtung. In dieser Phase wurden Gesteinseinheiten, die unter das Tepla-Barrandium subduziert worden waren, in Nordwest-Richtung exhumiert. So gelangten die Gesteine des Erzgebirges und Granulit-Massivs zwischen Tepla-Barrandium und Autochthone Domäne.
Ausgangspunkt des plattentektonischen Modells von Kroner et al. (2007, 2010) ist die Plattenkonstellation am Ende der cadomischen Gebirgsbildung, bei der die Lithosphäre entstanden war, welche in jüngere geologische Prozesse einbezogen wurde. Nach Beendigung der cadomischen Gebirgsbildung vor ca. 540 Millionen Jahren stellte sich die Konvektion im Erdmantel um und der Nordrand Gondwanas, zu dem die Gesteine Sachsens gehörten, wurde im Ordovizium von einer Dehnungs- und Rifttektonik erfasst. Dabei entstanden ausgedünnte Lithosphären-Bereiche wie das Vesser-Rift in Thüringen, welche sich mit unverdünnten Bereichen abwechselten, die dort erhalten blieben, wo cadomische magmatische Gesteine intrudiert waren. Diese Region Gondwanas war dem Kontinent vorgelagert und wird deshalb als Armorkanischer Sporn bezeichnet. Sie bildete einen breiten kontinentalen Schelf, der während des Paläozoikums überwiegend vom Meer bedeckt war, sodass sich marine Sedimente wie Tonstein, Sandstein und Kalkstein ablagerten. Außerdem entwickelte sich außerhalb des Schelfs ein Ozean, der Rheische Ozean.
Bei der variszischen Gebirgsbildung wurde im Devon der Rheische Ozean subduziert und dabei geschlossen. Erste äußere Schelfbereiche Gondwanas kollidierten mit Laurussia, die ältesten metamorphen Gesteine in der Münchberger Gneismasse und im Frankenberger Zwischengebirge entstanden. Durch die Kollision änderte Gondwana seine Bewegungsrichtung relativ zu Laurussia, es drehte sich im Uhrzeigersinn, sodass sich im Osten ein neuer Ozean bildete, die Paläo-Tethys, während im Westen die Einengung weiter anhielt.
Die einengende relative Plattenbewegung hielt über die Schließung des Rheischen Ozeans hinaus an, sodass auch der Armorikanische Sporn deformiert wurde. Dieser vom ordovizischen Rifting geprägte Schelf war sehr heterogen aufgebaut, deshalb entstanden bei der Gebirgsbildung hoch komplexe geologische Strukturen. Kontinentale Kruste kann aufgrund ihrer niedrigen Dichte nur subduziert werden, wenn sie weniger mächtig als 20 Kilometer ist. Die Bereiche des Armorikanischen Sporns, die beim ordovizischen Rifting ausgedünnt worden waren, erfüllten diese Bedingung. So wurden die Gesteine des Erzgebirges und des Granulit-Massivs subduziert. Die unverdünnten Krustenbereiche, der Armorikanische Block, das Tepla-Barrandium, der Lausitzer Block, die Autochthone Domäne und die Protoalpen hatten zu viel Auftrieb für eine Subduktion und kollidierten. Damit verdünnte Lithosphärenbereiche subduziert werden konnten, neben denen nicht subduzierfähige Lithosphärenblöcke lagen, mussten sich Lithosphären-tiefe Transformstörungszonen bilden, entlang derer die beiden Lithosphärenbereiche entkoppelten. Diese Störungszonen finden sich in der nördlichen und südlichen Wrench-and-Thrust-Zone wieder, deren prominenteste Teile die Elbe-Zone und die Vogtländische Schuppenzone sind.
Südlich des Tepla-Barrandiums befand sich durch ordovizisches Rifting ausgedünnte Lithosphäre des Moldanubikums, die nach der Kollision des Tepla-Barrandiums in Nordost-Richtung an einer intrakontinentalen Subduktionszone unter diesen Block subduziert wurde. Die südwestlich des Tepla-Barrandiums gelegenen Blöcke der Lausitz und der Autochthonen Domäne bewegten sich der Plattenkonvergenz folgend ebenfalls nach Nordosten, schoben sich am Tepla-Barrandium vorbei und kollidierten mit Laurussia. Sie wurden von der nördlichen und der südlichen Wrench-and-Thrust-Zone begrenzt, entlang derer sie von den umgebenden Lithosphärenbereichen entkoppelten. Mit Ankunft des Protoalpen-Blocks endete die Subduktion im Moldanubikum.
Die konvergente Plattenbewegung zwischen Gondwana und Laurussia hielt weiterhin an, sodass die kollidierten Blöcke gegeneinander verschoben bzw. aufeinander überschoben wurden. Dabei wurde die unter das Tepla-Barrandium subduzierte kontinentale Kruste westwärts exhumiert, wobei die Gesteine des Granulit-Massivs unter denen des Erzgebirges entlang bewegt wurden. Es bildetesich die Allochthone Domäne.
Durch Wärmefluss aus dem Erdinneren heizte sich die unterkühlte Lithosphäre der ehemaligen Subduktionszone auf. Es bildeten sich großvolumige Schmelzen, aus denen Plutone und Vulkanite entstanden. Außerdem fanden finale tektonische Ausgleichsbewegungen statt. In dieser späten Phase der Gebirgsbildung wurden die metamorphen Gesteine des äußeren Schelfs der Münchberger Masse und des Frankenberger Zwischengebirges auf karbonische Sedimente überschoben, sodass sie heute die oberste strukturelle Einheit des Saxothuringikums bilden und als oberstes Allochthon bezeichnet werden.
Gesteine des variszischen Gebirges erleben
Quellenangaben
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