Post-variszische Tektonik

Die tektonische Entwicklung der letzten 300 Millionen Jahre

Bruchstruktur im Granulit-Massiv (dunkle Fläche neben dem Hammer).
Bruchstruktur im Granulit-Massiv (dunkle Fläche neben dem Hammer).   © LfULG

Nach dem Ende der variszischen Gebirgsbildung geriet Europa in mehrfach wechselnde Spannungsfelder, die mit der plattentektonischen Entwicklung im Zusammenhang standen. Man kann verschiedene tekonische Phasen unterscheiden:

  • die post-variszische Dehnungstektonik von Unterperm bis in die frühe Kreide (ca. 300-100 Ma),
  • die alpine Tektonik nördlich der Alpen von der mittleren Kreide bis zum frühen Paläozän (100 bis 55 Ma) sowie
  • die Neotektonik ab dem Paläozän.

Rezente Tektonik, die zur Neotektonik gehört aber heute direkt nachweisbar ist, hat eine besondere Bedeutung, da sie eine Erdbebengefährdung verursacht, die bei Baumaßnahmen berücksichtigt werden muss.

Die junge Tektonik in Sachsen wurde von Krentz (2008) und Stanek (2013, 2016, 2019a, 2019b) detailliert untersucht.

Störungen der verschiedenen tektonischen Phasen in Sachsen. Die bedeutendsten großen Störungszonen, die Gera-Jáchymov-Zone, die Elbe-Zone, der Eger-Graben und die Leipzig-Regensburg-Zone sind hell unterlegt und aus vielen einzelnen Störugen aufgebaut. Far
Störungen der verschiedenen tektonischen Phasen in Sachsen. Die bedeutendsten großen Störungszonen, die Gera-Jáchymov-Zone, die Elbe-Zone, der Eger-Graben und die Leipzig-Regensburg-Zone sind hell unterlegt und aus vielen einzelnen Störugen aufgebaut. Farblich wird immer die jüngste nachweisbare tektonische Aktivität dargestellt. Eine nähere Erläuterung der tektonischen Phasen ist im Text zu finden.   © LfULG
Der känozoische Vulkan des Geisingbergs (am Horizont) sitzt der Schmiedeberg-Geising-Störung auf (grüne Linie), welche permokarbone Vulkanite der Altenberg-Teplice-Caldera versetzt und deshalb als Störung der post-variszischen Dehnungstektonik eingestuft
Der känozoische Vulkan des Geisingbergs (am Horizont) sitzt der Schmiedeberg-Geising-Störung auf (grüne Linie), welche permokarbone Vulkanite der Teplice-Caldera versetzt und deshalb als Störung der post-variszischen Dehnungstektonik eingestuft wird. Dieser Störung folgt ein Tal, in dem der Ort Geising liegt.   © LfULG

Nach der variszischen Gebirgsbildung setzte im Perm eine Dehnungstektonik ein, die sich bis in die frühe Kreide fortsetzte (300 bis 100 Ma). Die Orientierung des Spannungsfeldes änderte sich dabei mehrfach.

Diese tektonische Phase begann mit dem gravitationsbedingeten Kollaps des variszischen Gebirges bei NW- sowie NE-orientierter Extension (Reicherter et al. 2008). Anschließend lässt sie sich mit überregionalen Dehnungsbewegungen der Mitteleuropäischen Extensionsprovinz (Kroner und Romer 2013) in Verbindung bringen: 

  • Öffnung der Neotethys,
  • Bildung des Zentraleuropäischen Beckens,
  • Grabenbildung entlang der Achse des Oslo-Grabens,
  • Spreizung des Zentralatlantiks.

In Sachsen weisen diese Bewegungen einen abschiebenden Charakter auf und haben zur Anlage von Rotliegend-Becken geführt, z. B. vom Chemnitz-Becken und vom Döhlen-Becken. Prominentes Beispiel für eine Störungszone dieser tektonischen Phase ist die Altenburg-Affalter-Störung, die als NW-streichendes Element sowohl die Rotliegend-Sedimente des Chemnitz-Beckens als auch die Nordwestrandzone des Erzgebirges durchzieht (Stanek 2016).

Zu Beginn des Mesozoikums waren das Grundgebirge des Erzgebirges und des Granulit-Massivs eingeebnet. Es kann davon ausgegangen werden, dass im Anschluss triassische und jurassische Sedimente zur Ablagerung kamen. Sedimente aus dieser Phase sind allerdings bis auf wenige lokale, reliktische Vorkommen nicht mehr erhalten, so dass tektonische Informationen über diesen Zeitraum nur aus Datierungen von Mineralisationen entlang von Störungsflächen oder Vulkaniten, die an Störungszonen gebunden sind, abgeleitet werden können (Voigt 2009; Hofmann et al. 2013). In der Lausitz kann trotz eines weniger umfangreichen Kenntnisstandes mesozoische tektonische Aktivität dokumentiert werden, z. B. entlang der Hoyerswerda-Querstörung, die in diesem Zeitraum als Dehnungsstruktur reaktiviert wurde (Stanek 2016).

Nach der post-variszischen Dehnungstektonik kam es in der Kreide zu einer Umstellung des tektonischen Spannungsfeldes. Von der mittleren Kreide bis zum frühen Paläozän (vor 100 bis 55 Ma) wirkte die alpine Tektonik auf die europäische kontinentale Kruste im Vorlandbereich des Gebirges (Reicherter et al. 2008). Die NE-gerichtete Konvergenz von Afrika relativ zu Iberia und Europa verursachte Überschiebungen in ganz Zentraleuropa (Kley und Voigt 2008). Hierbei wurden bereits angelegte NW-streichende Störungen reaktiviert (Brause 1990), was z. B. zu einer Inversionstektonik entlang der Lausitzer Überschiebung führte (Voigt 2009, Käßner et al. 2020).

Ab dem Eozän (vor 45 bis 35 Ma) kam es durch die Spreizung des nördlichen Atlantiks zu einer Rejustierung der Kompression in N-Richtung (Handy et al. 2010). Ab dem Oligozän bis zum frühen Miozän folgte dann eine extensive Phase vor 35-15 Ma, die NNW- bis NNE-gerichtete Dehnung zur Folge hatte. In diesem Zeitraum entwickelte sich der Eger-Graben (Rajchl et al. 2009; Andreani et al. 2014). Die Struktur hat eine Länge von etwa 300 km und erreicht im zentralen Bereich eine Breite von etwa 50 km. Sie ist mit vulkanischen Eruptionen assoziiert. In nordöstlicher Verlängerung des Eger-Grabens schließen das Zittauer und Berzdorfer Becken in der Oberlausitz an. In der Niederlausitz entwickelten sich NW-streichenden Grabenstrukturen, z. B. der Weißwasser-Graben (Krentz und Lapp 2010). Im nördlichen Niederlausitzer Braunkohle-Revier versetzen alle Abschiebungen, die diese Grabenstrukturen begrenzen, miozäne Kohleflöze (Kühner 2008). Dies belegt eine spät-miozäne bis pliozänen Aktivität der Störungen.

Die jüngsten Strukturen entwickelten sich in einem NW-orientierten, kompressiven Umfeld, das sich im späten Miozän (vor maximal 15 Ma) etabliert hat. Zu dieser Zeit wurden die Ozeane im Alpenraum geschlossen, die konvergente Plattenbewegung zwischen Europa und Afrika hielt aber weiter an, sodass Europa sein heutiges Spannungsfeld erhielt, dessen größte Horizontalspannung in Sachsen N- bis NNW- gerichtet ist.

Junge, aktive Störungstätigkeit wird als rezente Tektonik bezeichnet. Ihr Nachweis erfolgt im besten Fall direkt durch Kartierung im Aufschluss, wo eindeutig tertiäre und/oder quartäre Sedimente versetzt werden (Stanulla et al. 2018). Diese Voraussetzungen sind in Sachsen vor allem in bergbaulichen Aufschlüssen, besonders in Braunkohletagebauen, gegeben. Solche Versätze können z. B. der Spremberg-Graben und der Türkendorfer Graben in Nordsachsen nachgewiesen werden.

Bei schlechten Aufschlussverhältnissen muss ein indirekter Nachweis z. B. mittels geomorphologischer Analyse erfolgen. In der Oberlausitz liegt mit der Cunewalde-Störung ein exzellentes Beispiel für eine neotektonisch aktive Störungszone vor (Stanek 2019b), die geomorphologisch wirksam ist und an der vereinzelte Erdbeben registriert wurden. Auch im Erzgebirge als aktivem Hebungsgebiet können einige Störungen jungen tektonischen Bewegungen zugeordnet werden, darunter der Flöha-Abbruch entlang der Flöha-Zone, der Aue-Abbruch oder das Vorerzgebirgslineament (Domínguez-Gonzalez et al. 2022). Ebenfalls konnte die Waldheim-Störung im Granulit-Massiv als geomorphologisch wirksamer Bruch identifiziert werden. In der Lausitz wurden die Grabenstrukturen, die sich vom Oligozän bis frühen Miozän gebildet haben, durch dextrale Transtension reaktiviert und es bildeten sich weitere Grabenstrukturen (Krentz und Lapp 2010).

Blick vom Johannisstein über das Zittauer Gebirge ins Zittau-Turow-Hradek-Becken
Blick vom Johannisstein über das Zittauer Gebirge ins Zittau-Turow-Hradek-Becken, in welchem ein Tagebau und ein Kraftwerk zu erkennen sind. Im Becken wurden känozoische Sedimente abgelagert, unter denen die älteren Schichten der Kreide liegen, wie aus Bohrungen bekannt ist. In der Bildmitte ist der Felsen von Oybin zu sehen. Dieser besteht aus kreidezeitlichen Sandsteinen, welche hier direkt an der Erdoberfläche anstehen. Das heißt, die Einheiten der Kreide sind zwischen Zittau-Turow-Hradek-Becken und Zittauer Gebirge um mehrere hundert Meter versetzt.   © LfULG

Hinweise auf aktive Tektonik können auch aus seismologischen Messungen abgeleitet werden. Eine besonders aktive Zone, die N-streichenden Leipzig-Regensburg-Zone, befindet sich im Grenzgebiet von Bayern, Sachsen und Thüringen. Charakteristisch für diese Region sind Erdbebenschwärme. Das sind regelmäßige Serien von Erdbeben niedriger Magnitude, die innerhalb weniger Wochen auftreten. Korn et al. (2008) geben einen guten Überblick über die Verteilung der Erdbeben. Es existieren mehrere Erdbebenzentren, welche sich durch bestimmte Charakteristika auszeichnen. Die Analyse der Erdbebentätigkeit im Raum Bergen offenbart, dass die Erdbeben in 6-10 km Tiefe stattfinden. Im restlichen zentralen Vogtland finden die Erdbeben in 10-20 km Tiefe statt. Rappsilber et al. (2020) interpretieren die seismologische Gesamtsituation als Beleg für eine aktive Störungszone, an der aufsteigende Fluida und Gase die Schwarmbeben verursachen. Aktuelle Forschungen gehen davon, dass die Fluida und Gase mit einer vulkanischen Aktiviät in der Region assoziiert sind.

Karte mit der Erdbebentätigkeit im Vogtland
Darstellung der dokumentierten Erdbebentätigkeit im Großraum Vogtland. Es werden sowohl die historischen Erdbeben aufgeführt, als aus auch die instrumentell lokalisierten Beben der Gegenwart. Weiterhin wurden Herdflächenlösungen einbezogen, welche für ausgewählte Erdbeben den Bruchmechanismus darstellen. Es ist deutlich zu sehen, dass die Bruchmechanismen im Gebiet Novy Kostel und dem Vogtland sich ähneln. Es wird deutlich, dass die Schwarmgebiete über Jahrhunderte immer wieder aktiviert wurden (Grundkarte: Maptiler 2020).   © LfULG

Störungen erleben

Hohnstein

Lausitzer + Zittauer Gebirge

Neumühle bei Geilsdorf

Seismizität in Westsachsen

Diagramm der Tiefe von Erdbebenherden in Westsachsen

Aktive Tektonik in Sachsen

Zittau-Abbruch mit Zittauer Gebirge

Junge Tektonik

Störungsfläche mit Harnischen

Tektonik von Sachsen

Störungsfläche mit Harnischrillung

Quellenangaben

Brause, H. (1990): Beiträge zur Geodynamik des Saxothuringikums. – Geoprofil  2, 1-88.

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Domínguez-Gonzalez, L., Adreani, L., Stanek, K. (2022): Geomorphologische Analyse tektonischer Einheiten in Sachsen. Schriftenreihe des LfULG 14/2022, 1-94.

Kley, J., Voigt, T. (2008): Late Cretaceous intraplate thrusting in central Europe: Effect of Af-rica-Iberia-Europe convergence, not Alpine collision.  Geology 36, 839-842, doi: 10.1130/G24930A.1.

Korn, M., Funke, S., Wendt, S. (2008): Seismicity and seismotectonics oft West Saxony, Germany – New insights from recent seismicity observed with the saxonian seismic network. Stud. Geophys. Geod. 52, 479-492.

Krentz, O. (2008): Postvaristisches Deckgebirge. in: Pälchen, W. und Walter, H. (Hrsg.): Geologie von Sachsen, Schweizerbartsche Verlagsbuchhandlung, 257-296.

Krentz, O., Lapp, M., Seibel, B., Bahrt, W. (2010): Bruchtektonik. In: Die geologische Entwicklung der Lausitz, eds. Autorenkollektiv, Vattenfall Europe Mining AG, 137- 160.

Maptiler (2020): https://www.maptiler.com/, angesehen am 15.01.2020.

Rappsilber, I., Domigall, D., Buchholz, P., Flores, H., Funke, S., Korn, M., Lerbs, N., Sonnabend, L., Wendt, S., Hänel, F., Hellwig, O., Burghardt, T., van Laaten, M., Schönwald, D., Wegler, U., Krentz, O., Witthauer, B., Martin, J., Pustal, I., (2020): Erdbebenbeobachtung in Mitteldeutschland Dreijahresbericht 2016 – 2018. Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie.

Stanek, K. (2013): Junge (känozoische) Tektonik in Kristallingebieten in Sachsen, Abschlussbericht, Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, https://www.geologie.sachsen.de/artus-2-junge-kaenozoische-tektonische-entwicklung-in-kristallingebieten-in-sachsen-27527.html.

Stanek, K. (2016): Kenntnisstandsanalyse zum tektonischen Bau von Sachsen, Abschlussbericht, Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, https://www.geologie.sachsen.de/artus-2-kenntnisstandsanalyse-zum-tektonischen-bau-von-sachsen-27594.html.

Stanek, K. (2019a): Bruchtektonik in der vogtländisch-erzgebirgischen Antiklinalzone - ARTUS 2, Abschlussbericht, Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, https://www.geologie.sachsen.de/artus-2-bruchtektonik-in-vogtland-und-erzgebirge-27576.html.

Stanek, K. (2019b): Bruchtektonik in der vogtländisch-erzgebirgischen Antiklinalzone – ARTUS 2; Ergänzung: Aktive Störungszonen, Abschlussbericht, Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie, https://www.geologie.sachsen.de/artus-2-aktive-stoerungszonen-27587.html.

Stewart, I. S., Hancock, P. L. (1994): Neotectonics. – in: Continental Deformation, ed. P. L. Hancock, Pergamon Press, Oxford, 370-409.

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